In der niederländischen Fernseh-Show College Tour ließ EZB-Präsidentin Christine Lagarde verlauten, dass ihrer bescheidenen Einschätzung nach Kryptowährungen nichts wert seien. Ob dies so ist und was solch eine Aussage für den Wert von vergleichbaren klassischen Diensten bedeutet, werden wir in diesem Artikel erörtern.

Die Diskussion über den inhärenten Wert von Kryptowährungen ist nichts Neues. Und gerade zwischen Vertretern des traditionellen Finanzsystems und Anhängern von Kryptowährungen sind die Fronten oftmals verhärtet. Dabei fällt immer wieder auf, dass sich beide Seiten häufig schwer tun ihre Vorurteile zu korrigieren und bevorzugt die Unterschiede hervorheben anstatt die Gemeinsamkeiten. Wir wollen hier bewusst letzteres tun, um Trugschlüsse und argumentative Inkonsistenzen aufzuzeigen. Viel Spaß!

Kontext

College Tour ist eine niederländische Sendung, bei der sehr bekannteste niederländische und internationale Gäste interviewt werden. Diesmal war Christine Lagarde, Präsidentin der Europäischen Zentralbank, zu Gast. Neben Themen wie der EZB-Bilanz und dem Werdegang von Frau Lagarde, war auch das Interesse zu Kryptowährungen sehr groß.

Auf die Bitte nach ihrem Rat hinsichtlich solcher Investments entgegnete Frau Lagarde, Krypto sei eine hochriskanter Asset-Klasse, die nach ihrer bescheidenen Einschätzung nichts wert sei. Krypto basiere auf nichts und es gäbe keine zugrunde liegenden Vermögenswerte, die als Sicherheitsanker dienen könnten. Auf Anfragen aus dem Publikum hin ergänzte sie, dass sie — im Gegensatz zu ihrem Sohn — selbst keine Kryptowerte besäße, aber über die Funktionsweise Bescheid wisse und den Markt aufmerksam verfolge.

“My very humble assessment is that it is worth nothing. It is based on nothing, there is no underlying assets to act as an anchor of safety.”

Christine Lagarde, Präsidentin der EZB, bei College Tour

Zusätzlich betonte Lagarde, dass die Zentralbank hinter dem digitalen Zentralbankgeld (Central Bank Digital Currency) stehen wird und sich dies stark von “all diesen Dingen” unterscheide.

Christine Lagarde, Quelle: Wikipedia, Christine Lagarde | Wikimedia Commons, Christine Lagarde

Risiko und Stressresistenz

Teilweise kann ich die Sorgen von Frau Lagarde nachvollziehen, denn als Außenstehende kann der Crypto Space sehr befremdlich wirken. Es kostet einiges an Zeit und Energie, um das komplexe Zusammenspiel aus Technologie, Netzwerkeffekt, Spieltheorie und ökonomischer Incentivierung zu durchblicken.

Auch gebe ich ihr recht, dass Krypto eine sehr risikoreiche Asset-Klasse ist, für die es sich meiner Meinung nach mental zu wappnen gilt. Ohne solides Grundlagenwissen wird kaum das nötige Vertrauen aufgebaut werden können, um bei der “Achterbahnfahrt” der Kursbewegungen gelassen zu bleiben.

Allerdings empfinde ich ihre generelle Ablehnung und ihre Aussagen zum Wert von Krypto sehr bedenklich und bezüglich ihrer logischen Implikationen nicht zu Ende gedacht. Diesen wenden wir uns als nächstes zu.

”An idea start to be interesting when you get scared of taking it to its logical conclusion.”

Nassim Nicholas Taleb, The Bed of Procrustes

Logische Implikationen

Bei der Frage nach dem Wert von Kryptowährungen, kommt wohl jedem, dem der Begriff Fiatwährung geläufig ist, der naheliegende Vergleich zum Euro in den Sinn. fiat ist das lateinische Wort für “Es werde!”“Es geschehe!” und bedeutet in diesem Zusammenhang so viel wie “Schöpfung aus dem Nichts”.

Es scheint paradox. Aber Lagarde bringt gegenüber Krypto die gleichen Kritikpunkte hervor, die die Europäische Zentralbank selbst oft genug zu höher bekommt. Wir können ihre Aussagen eins-zu-eins auf den Euro übertragen und argumentieren, dass er “auf nichts basiert” und es für ihn “keine zugrundeliegenden Assets gibt, die als Sicherheitsanker dienen”. In anderen Worten: Zu sagen, dass Krypto nichts wert sei ist äquivalent zu der Aussage, dass der Euro nichts wert sei. Das ist eine Perspektive.

Eine andere Perspektive ist, dass die Geldmenge als eine Repräsentation der Wirtschaftskraft eines Landes oder mehrerer Länder angesehen werden kann und Fiatwährungen daher durch die Wirtschaft selbst gedeckt sind. Gleiches gilt für Krypto. Der Wert einer Kryptowährung kann als Repräsentation der zugrundeliegenden Infrastruktur, die für die sichere Wertübertragung innerhalb des Netzwerks sorgt, und der darauf aufbauenden Dienstleistungen verstanden werden.

Lass uns also darüber nachdenken, was es bedeutet zu sagen, dass ein globaler sicherer Settlement Layer (d.h. eine Netzwerkschicht zur Abwicklung von Finanztransaktionen) — ungeachtet des tatsächlich bewegten Volumens — keinen Wert besitzt. Eine Implikation könnte sein, dass die Dienste von PayPal nichts wert und folglich die Aktie des Unternehmens stark überbewertet ist. Gleiches gälte für SWIFT als globalen Service-Anbieter im Bereich Finanztransaktionen und Betreiber eines besonders sicheren Telekommunikationsnetztes.

Klingt etwas übertrieben, oder?

Die Wahrheit ist: wir brauchen die genannten Dienste, Infrastrukturen und Dienstleister. Aber wir sollten nicht aus nostalgischen Gründen und der Angst vor etwas Neuem, eine Technologie bevorzugen und die andere pauschal verurteilen. Das Schöne ist, es ist keine Entweder-oder-Entscheidung.

Einige Fun Facts an dieser Stelle: Das Settlement Volumen von Ethereum und das von Bitcoin war 2021 jeweils größer als das von VISA. Im gleichen Jahr kündigte VISA an mit ausgewählten Partnern Transaktionen auf der Ethereum Chain zu settlen und kaufte sogar einen Crypto Punk.

Erhöhte Sicherheit

Was im Hinterkopf behalten werden muss: Blockchain ist eine Open Source Technologie, die zusätzlich permissionless ist. Das bedeutet, jede beliebige Person auf der Welt kann jederzeit den zugrunde liegenden Code eines Netzwerks einsehen, daran mitarbeiten und am Netzwerk partizipieren, ohne sich in irgendeiner Form eine Erlaubnis dafür einholen oder ausweisen zu müssen. Insbesondere steht solch einer Person frei, Bugs für sich auszunutzen oder auf eine andere Art böswillig zu handeln und auch zu versuchen, das Netzwerk zu manipulieren oder gar zu zerstören.

Doch trotz all der ständigen Angriffe, denen offene Blockchains ausgesetzt sind, sind die bekannten Netzwerke (bis auf Terra 🙄) weiterhin am Laufen und funktionieren unter den hier genannten Umständen sehr gut. Mehr noch, erfolgreiche Hacks haben einen positiven nachhaltigen Effekt auf die Robustheit dieser Netzwerke.

Wie lange würde es wohl dauern, Teile des SWIFT-Systems zu kompromittieren, wenn wir dessen Code open source stellen und das Netzwerk für jeden öffentlich zugänglich machen würden? Wie resilient wäre digitales Zentralbankgeld in solch einem Szenario?

Settlement in einer Multi-Chain-Welt

Es geht sogar noch weiter. Offene Blockchains durchlaufen derzeit einen Paradigmenwechsel: Sie vernetzen sich und formen eine globale Multi-Chain-Infrastruktur, in der sich die unterschiedlichen Netzwerke automatisch synchronisieren. Die Grenzen verwischen immer mehr, so dass Assets frei zwischen den Netzwerken “fließen” können. Damit ist Krypto auf einem guten Weg einige dringliche Hürden abzubauen, die dem Bankensystem bereits lange Zeit Probleme bereiten.

So wie in ziemlich allen Branchen unserer modernen Welt, besteht die Datenlandschaft des Finanzsektors noch immer aus voneinander getrennten Datensilos. Um diese synchron zu halten, ist ein gewaltiges Netzwerk unterschiedlicher Korrespondenzbanken und Clearingstellen vonnöten, was zum einen erhöhte Komplexität und Kosten mit sich bringt und zum anderen dem Wunsch nach einem globalen Real-Time Settlement (d.h. einer Zahlungsabwicklung in Echtzeit) nicht nachkommen kann.

Dabei reden wir hier nicht von Peanuts: Laut einer Studie von SWIFT und Oliver Wyman aus dem Jahr 2014 gibt die Bankenbranche jährlich 65-80 Milliarden US-Dollar für Clearing und Settlement aus.

Und genau hier können die Entwicklungen rund um Blockchain für einen Benefit sorgen. Das Potenzial, Clearing und Settlement sicherer, quasi-instant und viel kostengünstiger zu gestalten, ist vorhanden und wird seit einigen Jahren wissenschaftlich erforscht (siehe hierhierhier und hier). Es bestehen sogar Designansätze für digitales Zentralbankgeld, die bargeld-ähnliche Privatsphäre unter Einhaltung aller Regularien zur Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung ermöglichen.

Fazit

Wir haben gesehen, dass die Beurteilung des Werts von Krypto gar nicht so einfach ist und mitunter eine pauschale Ablehnung bei einem Vergleich mit dem traditionellen Finanzwesen zu logischen Inkonsistenzen führen kann.

Dabei existieren vielversprechende Entwicklungen, von denen der Payment- und Finanzsektor deutlich profitieren kann. Mitunter sind hier zu nennen Interoperabilität, Datensynchronisierung, Wertübertragungen in Echtzeit (und damit eng verknüpft die sogenannten Zug-um-Zug-Geschäfte) als auch personenbezogene Privatsphäre.

Diese Vorzüge scheinen für immer mehr Aufsehen zu sorgen. Denn wie am Beispiel von VISA gesehen, setzen sich mittlerweile sehr viele Unternehmen ernsthaft mit der Materie auseinander — und das auch weit über die Bankenbranche hinaus.

Quelle: Twitter Post von Blockworks

Auch ist eine Annährung von der anderen Seite zu beobachten. So bietet Decentralized Finance Gigant Aave zusammen mit dem Institutional Custody Provider Fireblocks unzähligen Finanzinstituten Zugang zu privaten DeFi-Liquiditätspools.

Persönlich denke ich, dass sich die beobachtete Annäherung zwischen Krypto und TradFi im Laufe der nächsten Jahre verstärken wird. Die Zeichen stehen gut. Von Unternehmensseite sind positive Signale zu vernehmen, die ersten regulatorischen Schockmomente sind überstanden und der Weg für mehr regulatorische Klarheit wird gerade bereitet.

Was die langanhaltende Debatte über den Wert von Krypto aber zeigt, ist, dass wir dringend mehr Aufklärung benötigen — und zwar auf beiden Seiten. Daher versteht sich dieser Artikel als offene Einladung zu einer konstruktiven Diskussion. Vorurteile sollen beiseite und stattdessen Lernbereitschaft an den Tag gelegt werden (wieso muss ich jetzt bloß an diesen Song denken? 😁).

Lass uns zu guter Letzt nochmal kurz zur ursprünglichen Fragestellung zurückkehren — nämlich dem Wert von Kryptowährungen.

Ja, der Finanzsektor hat eine systemkritische Aufgabe zu bewältigen und dementsprechend rechnen wir im viel Wert bei. Gleichzeitig ist die Infrastruktur gut in die Jahre gekommen. Mit Krypto haben wir Technologien an der Hand, die Real-Time Settlement auf globaler Ebene in Zukunft möglich machen könnten und bereits heute antifragile Security Standards verwenden, die ihresgleichen suchen.

Das sollte doch etwas wert sein, oder?